Weltautismustag 2025
Umdenken für echte Teilhabe: neue Perspektiven auf Autismus
Defizitorientierte Ansätze verstellen den Blick auf Potenziale
Frankfurt am Main, 31.03.2025 – Anlässlich des Welt-Autismus-Tages am 2. April weist Autismus Rhein-Main auf ein zentrales Problem hin: statt Akzeptanz erfahren autistische Menschen in allen Lebensbereichen weiterhin Unverständnis und Benachteiligung. Der Verband lenkt den Blick auf die oft unsichtbaren strukturellen Hürden, mit denen Autistinnen und Autisten täglich konfrontiert sind, und fordert einen Perspektivwechsel: „Wenn wir die Situation wirklich verbessern wollen und Lösungen suchen, die für uns als Gemeinschaft funktionieren, müssen wir alle umdenken“, erklärt Vorständin Julia Seidel.
Viele Lösungsansätze fokussieren Verhalten und greifen zu kurz
Etwa 1% bis 2% der Weltbevölkerung sind autistisch – mit steigender Tendenz durch bessere Diagnostik, auch bei Erwachsenen. Autistische Menschen sind ebenso vielfältig wie nicht-autistische, von denen sie sich vor allem darin unterscheiden, wie sie die Welt wahrnehmen, Informationen verarbeiten, kommunizieren und soziale Beziehungen gestalten. Dennoch wird Autismus oft auf „auffälliges Verhalten“ reduziert. Stärken wie beispielsweise eine detailorientierte Wahrnehmung, fokussierte Aufmerksamkeit und Resilienz gegen Vorurteile werden dabei leicht übersehen.
Die Teilhabe autistischer Menschen ist in allen Lebensbereichen eingeschränkt. Sie haben zudem ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen wie Ängste, Zwänge und Depressionen – internationale Studien weisen auf eine bis zu zehnfach höhere Suizidrate hin. Schätzungen zufolge können bis zu 50% aller Kinder mit Autismus-Diagnose vorübergehend oder dauerhaft nicht am Schulunterricht teilnehmen, die Beschäftigungsquote Erwachsener liegt bei nur 10% bis 20%. Bildungs- und Gesundheitssysteme sind nicht auf autistische und anders neurodivergente Personen ausgelegt. Die Gesamtsituation bedeutet für viele autistische Menschen und ihre Familien permanent sehr hohe Belastungen.
Missverständnisse und Unsicherheit auf beiden Seiten
Sowohl nicht-autistischen wie auch autistischen Menschen fällt es schwer, sich in die Gefühls- und Erfahrungswelt der jeweils anderen hineinzuversetzen. Lenka Dietrich, Leiterin des Autismus Kompetenzzentrums des Vereins, betont: „Autistische Gehirne sind keineswegs ‚defekt‘. Sie funktionieren einfach anders, mit oft heterogenen Ausprägungen im Intelligenzprofil oder in der Wahrnehmung und Verarbeitung von Reizen.“ Diese Unterschiede führen zu vielfältigen Herausforderungen im Alltag. Die autistische Perspektive wird dabei leicht übergangen.
Ein neuer Blickwinkel ist gefragt
„Unser Ziel ist eine Gesellschaft, die autistische und anders neurodivergente Menschen nicht einseitig anpassen will, sondern aktiv Barrieren abbaut.“, erklärt Julia Seidel. „Der Blick auf den einzelnen Menschen ist dabei entscheidend. Wir müssen uns immer fragen: Was trägt wirklich zur Stärkung des Einzelnen bei?“
Der Welt-Autismus-Tag soll das Bewusstsein dafür schärfen, dass autistische Menschen – unabhängig von ihrem Unterstützungsbedarf – nicht nur mitgedacht werden, sondern ein wesentlicher und aktiver Teil der Gesellschaft sein müssen, damit wir als Gemeinschaft unser volles Potenzial entfalten können.
Über Autismus Rhein-Main e.V.
Autismus Rhein-Main e.V. ist ein Selbsthilfeverein autistischer Menschen und ihrer Angehörigen, gegründet 1976 in Frankfurt am Main. Mit knapp 1.000 Mitgliedern ist er einer der größten Regionalverbände des Bundesverbandes Autismus Deutschland e.V. Neben Aufklärung, Beratung, Selbsthilfegruppen und Freizeitangeboten ist der Verein auch in der politischen Interessenvertretung aktiv. Eines seiner Hauptziele ist die Entwicklung einer Autismus-Strategie für Hessen.
Pressekontakt:
Julia Seidel
Autismus Rhein-Main e.V.
Tel: 069 789 46 61
E-Mail: julia.seidel@autismus-rhein-main.de
Sonnemannstraße 3
60314 Frankfurt am Main
www.autismus-rhein-main.de